Zwei Eisen im Feuer

(Auszug aus "Träume, Tofu und Arthrose. Lilli übt den Ruhestand", Kap.3)

 

Du siehst so sexy aus heute.“ Ruth stochert mit der Gabel in ihrem Salat, zerquetscht ruckartig eine Olive und stiert mir sekundenlang in die Pupille, ohne zu blinzeln.

Genau“, findet auch Gitta, „richtig frisch, nicht so mitgenommen wie sonst.“

Jetzt sind es schon zwei Augenpaare, die mich fixieren. „Also gut.“ Ich ziere mich noch ein wenig, nippe an meinem Chablis, dann bediene ich die Neugier meiner Freundinnen: „Ich hab` eine Anzeige aufgegeben, eine Kontaktanzeige.“

Ohne mein Bekenntnis zu würdigen, schnarrt Sabine: „Das macht man heute mit ´ner Dating-App.“

Was ist ab?“, Gittas Frage wabert unbeantwortet durch den Raum.

Nur Ruth zeigt eine angemessene Reaktion: „Ist ja genial. Und jetzt?“

Jetzt warte ich auf Antworten!“ Ich winke den Ober herbei und bestelle eine Runde Aperol Spritz.

 

In den nächsten Tagen trudeln 27 Briefe ein. Vielleicht wären es ein paar mehr gewesen, wenn ich mein Alter und mein Gewicht ein wenig nach unten, dafür meine Größe nach oben korrigiert hätte? Ich sortiere zunächst offensichtliche Massenanschreiben aus (7), dann die Briefe, deren Verfasser pathologische Wünsche anmelden (4), dann die, die nach Verzweiflung riechen (5). Die verbleibenden elf Schreiben lasse ich mehrere Tage und etliche Wannenbäder lang auf mich wirken. Meine Wahl fällt auf Bernd-Peter aus Unna. Bernd-Peter ist Staatsanwalt i.R. und sieht auch so aus, im besten Sinne. Er ist groß, fast schlank, mit stechendem Blick und einer markanten Adlernase. An seiner Seite ist frau sicher, er ist der Beschützer par excellence. Vor seiner Aura kuschen böse Buben. Das interpretiere ich mühelos in sein stilvolles Schwarz-Weiß-Foto hinein. Ja, ich stehe dazu, dominante Männer ziehen mich magisch an.

Nach zwei Wochen folge ich seiner Einladung in den Norden. Im Zug male ich mir die verschiedenen Varianten unserer schicksalhaften ersten Begegnung aus, unter anderem auch die, wie ich elegant flüchten würde, falls nicht Dr. Jekyll, sondern Mr. Hyde mich am Bahnhof erwarten sollte. Mein Brainstorming findet ein jähes Ende, als kurz hinter Nürnberg ein richtig schwerer Rucksack auf meine Zehen plumpst.

Mann, ey«, entfährt es mir im Jargon meines Enkels.

Oh mein Gott«, stammelt der Rucksackeigner. Er umfasst sanft meinen Ellenbogen und ich ertrinke in seegrünen Augen.

Damit nimmt die Verwirrung ihren Lauf. Wir plaudern aufeinander ein, wir flirten, lachen. Bevor Uwe in Frankfurt aussteigt, gibt er mir seine Visitenkarte (Ehe-, Lebens-, Erziehungsberatung) und ich stecke ihm meine fahrig auf Bonbonpapier gekritzelte Telefonnummer zu. Mein Handy, vorausschauend auf stumm geschaltet, vibriert in meiner Jackentasche, als ich Bernd-Peter auf dem Bahnsteig in Unna zart umarme. Und Bernd-Peter ist definitiv Dr. Jekyll, kein bisschen Mr. Hyde. Volltreffer!

 

Es ist phantastisch. Ich genieße mein Leben, wie ich es mit verklemmten zwanzig Jahren versäumt habe zu genießen! Uwe ist der sanfte Frauenversteher, lässiger Freizeitpartner für Sauna und Biergarten, mal tiefgründig, mal witzig, unwesentliche elf Jahre jünger als ich. Bernd-Peter ist der Mann für den großen Auftritt, stilsicher, gewandt, kommunikativ, aber auch zuverlässig zur Stelle bei den Kümmernissen des Lebens. Beide sind großartig! Wie ist es nur möglich, dass sie noch auf dem Markt sind??

 

Uwe ist ein wenig im Vorteil, weil uns nur läppische 330 Kilometer trennen, während Bernd-Peter mit 610 Bahnkilometern mehr gefordert ist. Mit Uwe treffe ich mich daher hin und wieder außer der Reihe. Zum Beispiel heute. Der Tag ist bisher so gnadenlos trist verlaufen, dass ich mir eine Belohnung in Aussicht stellen muss, um psychisch gesund zu bleiben.

Kommst du mich trösten?«, simse ich Uwe.

Zwei Minuten später macht mein Handy „Bling« und kündigt seine Antwort an: „Klar! Komme sofort. Kauf nix zum AE, ich koche!«

Hurtig eile ich in die Stadt, um bei Karstadt einen neuen Bügel-BH in der Farbe Petrol zu erwerben. Mit der Unterwäsche, die ich seit Beginn meines mehrjährigen, unfreiwilligen Zölibats trage, kann ich Uwe nicht in den Wahnsinn treiben. Und genau das habe ich heute vor! Als ich den Traum aus Spitze in meiner fahlen Schlafzimmerbeleuchtung auspacke, befallen mich Zweifel: Mein Körper passt irgendwie nicht dazu. Ich würde meine Haut ja nicht runzelig nennen, so viel Respekt vor dem eigenen Körper muss sein, aber von jugendlicher Straffheit ist er ziemlich weit entfernt. Was soll´s, ich werde umso mehr Sinnlichkeit in mein Tun und meine Stimme legen. Ich dimme das Licht in der gesamten Wohnung, stelle Kerzen auf und sprühe ein bisschen zu viel Eau de Toilette über mich. Das hat einen quälenden Hustenreiz zur Folge, der meine gespannte Vorfreude aber nur wenig dämpft.

Uwe kommt kurz vor Mitternacht, beladen mit Tüten. Schon im Flur drängt er mich gegen den Garderobenständer und hüllt mich in leidenschaftliche Küsse. Er kann küssen. Er sabbert nicht und er zerquetscht mir mit der Zunge nicht die Mandeln. Er macht alles richtig. Die Gallonen von Parfum bringen auch ihn zum Husten. Aber das ist kein Nachteil, denn es bremst seine Leidenschaft, sodass er die Tüten leeren und das versprochene Nachtmahl bereiten kann. Bei Kerzenlicht serviert er Spargelsuppe, dann Filetspitzchen an Selleriemousse. Den dritten Gang und die Nachspeise überspringen wir, denn nun hält uns nichts mehr. Wir genießen uns auf dem kratzigen Teppichboden. Wir halten uns in den Armen und seufzen. Plötzlich bäumt er sich auf und röhrt wie ein brünftiger Elch, so laut und so lang, dass ich verzweifelt versuche, mich wegzuducken.

Als endlich Stille einkehrt, drückt er mich an sich. „Was machst du nur mit mir?« Jetzt flüstert er.

Am nächsten Morgen liegen wir uns wieder in den Armen. Ich bin nicht ganz so locker, ich fürchte das tosende Finale. Und es übertrifft meine Vorahnung. Seine Schreie gellen durch die morgendliche Stille. Er presst mich an seine Brust, 105 Dezibel prallen an mein Trommelfell. Ausweichen ist unmöglich, gut zwei Zentner lasten auf mir. Erst ertaubt mein rechtes Ohr, dann mein linkes. Das Gebrülle will gar nicht enden und geht über in ein selbstgefälliges, fast ebenso ohrenbetäubendes Gelächter. Ich bin traumatisiert. Aber er ist Psychologe. Er ist der einfühlsamste Mensch, den ich kenne. Er wird verstehen. Also spreche ich das Problem bei unserem nächsten Telefonat vorsichtig an. Ich stelle den Regler auf laut, da mein Hörvermögen noch stark eingeschränkt ist. Aber ich muss gar nicht viel erklären.

Er reagiert sofort: „Du bist also auch so eine, die Männer kastriert! Was für eine Enttäuschung!!«

Dann ist die Leitung tot und lässt sich weder durch zärtliche, noch durch verzweifelte „Hallos« wiederbeleben. Es dauert eine Woche, bis mein Gehör wieder hergestellt ist. Die Angst, dass mir die Wohnung gekündigt wird, hält länger an.

 

Nun bewahrheitet sich also doch die alte Weisheit, dass es gar nicht so dumm ist, zwei Eisen im Feuer zu haben. Beschwingt nehme ich Bernd-Peters Einladung an: ein verlängertes Wochenende in Paris. Den ersten Abend wollen wir der Kultur widmen. „Carmen« ist meine Lieblingsoper. Das trifft es nicht ganz. „Carmen« ist die einzige Oper, die ich ertrage, denn Opern sind nicht so mein Ding. Bernd-Peter liebt Opern. Wir einigen uns auf „Carmen«. Und eingekuschelt in seinen langen, sehnigen linken Arm kann ich dem theatralischen Gedönse durchaus etwas abgewinnen, vor allem beim finalen Paso doble gehen mir berauschende Gedanken durch den Kopf. Ich räkele mich, recke mich dreißig Zentimeter nach rechts oben und küsse sein markantes Kinn.

Oh«, seufzt er.

Ah«, seufze ich.

Wir verstehen uns. Wenig später sinken wir im Mandarin Oriental auf die Laken. Kurz und gut: Es ist kurz, aber nicht gut. In der nächsten Nacht wird es nicht besser und auch nicht in der letzten. Ich bin zutiefst irritiert. Ist das vielleicht alles, was wir in unserem Alter noch erwarten dürfen? Sicher fehlt ihm auch etwas und er scheut sich, darüber zu sprechen? Ich liege wach. Sein Atem schleift in mein Ohr, entspannt und regelmäßig.

Gegen Morgen, als leise Schnappgeräusche sein Erwachen ankündigen, kitzele ich ihn an der Nase: „Guten Morgen.«

Guten Morgen«, flüstert er zärtlich zurück.

Jetzt oder nie! Ich straffe meine kurze Wirbelsäule und sitze fast gerade neben seinem Kissenberg: „Wir müssen reden!«

Er räuspert sich und antwortet mit einem unartikulierten Laut. Überaus sanft taste ich mich an das heikle Thema heran und beende meinen Monolog mit der hingehauchten Frage: „Vielleicht gibt es ja geheime Träume, die du mir bisher nicht anvertraut hast? .... Ich würde sie dir gern erfüllen.«

Ja«, antwortet er knapp und seine sündig schwarzen Augen blitzen.

Was ja?«

Ja, ich habe erotische Träume«.

Ich schweige ermunternd.

Magst du Rollenspiele?«, fährt er fort und krault meinen Nacken, „du bist die Idealbesetzung in meinen Phantasien.«

Ich zögere nur eine knappe Sekunde, bevor ich „Wie aufregend« in sein Schlüsselbein raune.

Also bist du bereit?!«

Ich bin bereit.«

Er springt auf und verschwindet im Bad. Selbst im Schlafanzug von hinten hat seine Gestalt etwas Majestätisches. Ich warte. Lange. Mich beschleichen kleine Zweifel. Hoffentlich steht er nicht auf diese abgeschmackte Schulmädchennummer und will, dass ich mir meine angegrauten Haare zu Zöpfchen binde. Ich warte immer noch, friere und ziehe mir die Zudecke ans Kinn. Aber jetzt gibt es kein Zurück. Vielleicht begegne ich gleich dem Großinquisitor oder gar Marquis de Sade redivivus? Wie weit bin ich bereit zu gehen? Ziemlich weit, gestehe ich mir lustvoll ein. Ich schließe die Augen, warte und summe vor mich hin: „Nothing compares to you«. Ich höre seine Schritte, „nothing ...« , die Schritte kommen näher, „... compares«, noch näher, „... to you.«

Ich öffne die Augen und blicke zu ihm auf. Aber da ist niemand. Stattdessen windet sich ein Häuflein Elend vor mir auf dem Teppich.

Herrin«, fleht er, „bestrafe mich, ich habe es verdient.«

Steh erst mal auf«, stammele ich, um Zeit zu gewinnen.

Sofort springt er in die Senkrechte, allerdings mit gesenktem Haupt: „Wie meine Herrin befiehlt.«

Mir stockt der Atem, als ich die Handtücher sehe, die er sich um den Bauch und zwischen die Beine geschlungen hat. Am rechten Schenkel kleckert Sepiafarbenes Richtung Knie. Ich stürze ins Bad und kotze mir die Seele aus dem Leib, während mein Windelknecht gegen die Tür ballert.

 

Wieder einmal sitze ich mit Gitta, Ruth und Sabine bei unserem Lieblingsitaliener. Die drei legen für meinen Geschmack etwas zu viel Heiterkeit an den Tag. Schließlich habe ich ihnen gerade die Wiederaufnahme meines zölibatären Lebens anvertraut. Da gibt´s nichts zu grinsen. Wie sie erst lachen würden, wenn sie wüssten ... Ich beiße mir auf die Zunge und behalte die Erinnerungen versiegelt in meiner mentalen Ablage.

Betont lässig löffeln die drei ihr Eis. Irgendwie fühle ich mich genötigt, meinem Entschluss doch noch ein paar begründende Details hinzuzufügen. „Also Uwe ist mir für eine dauerhafte Beziehung irgendwie doch zu unreif.«

Zu unreif«, echot Ruth. Sie hält ihren prall gefüllten Löffel in die Luft. Schokosoße tropft auf die Tischdecke. Braune Flecken dehnen sich ins Weiß. Ich sehe schnell weg.

Ja, und Bernd-Peter. Also, unsere kulturellen Interessen liegen doch sehr weit auseinander. Er liebt die Oper ...«, meine Stimme versandet.

Er liebt die Oper«, wiederholt Gitta bedeutungsschwer.

Klingt alles irgendwie nicht plausibel.« Ruth sieht mir in die Augen.

Ich senke den Kopf, schiebe meinen Eisbecher weit weg von mir und weine leise in mein Taschentuch. 

Na komm her«, sagt Gitta und zieht meinen Kopf an ihren gewaltigen Busen. Ruth streichelt mir den Rücken, Sabine hält meine Hand. Verdammt, fühlt sich das gut an. Vielleicht sollte ich doch nochmal eine Kontaktanzeige aufgeben. Dieses Mal unter der Rubrik Sie sucht Sie. Oder ich sollte Zug fahren und die aparten Mittsechzigerinnen im Blick haben.

 

 

 

Aus: Träume, Tofu und Arthrose. Lilli übt den Ruhestand. Indepently published by Anna Oldenburg 2016